Freitag, 2. Oktober 2015

Tag 2 21. September 2015

Meine Nacht war nicht gut, konnte kaum schlafen. Gedankenkreisen, Angst, Schmerz, Tränen....

Mario habe ich kaum schlafen lassen, bin immer wieder zu ihm gekrochen...Nähe, will nicht allein sein. 
Bin zum Arzt und habe mich krank schreiben lassen. Er zeigte sich verständnisvoll, wir sollen als Familie
zusammen rücken....machen wir bereits. Mario habe ich gebeten bei mir zu bleiben und nicht zur Arbeit zu 
gehen.
Er erfüllt mir diese Bitte. Jetzt sind alle gefragt. Sein Pragmatismus ist beruhigend. (Mama, du hast einen tollen 
Schwiegersohn, aber das weißt du auch. Das hast du ihm schon bei unserer Hochzeit vor 16 Jahren gesagt.)
Tine und ich fahren am Nachmittag ins Krankenhaus. Für sie war der Anblick zu schwer. Das linke Auge ist blau 
und geschwollen und durch die OP ist alles ziemlich geschwollen.( Mama, du würdest schimpfen, was die Ärzte
da gemacht haben und  es würde einen ordentlichen Anschiss geben. Zu recht! Es ist gut, dass du tief und fest
schläfst.)
Ein merkwürdiger Arzt versucht meine heutigen Fragen zu beantworten. Ok, Empathie ist nicht sein Ding. Ich 
denke, dafür macht er sicher einen guten Job! Naja, damit tröste ich mich. Ich habe andere Sorgen als ein 
unsympathischer Doktor. ( Mama, du hättest ihn richtig doof gefunden, aber Hallo!!! und dich wieder ordentlich 
aufgeregt.)
Meine Schwester läuft während der Arzt die Fragen beantwortet weinend hinaus. Es ist zu viel. Die Art und Weise 
des Doktors erträgt sie nicht. Eine kleine hübsche Schwester kommt und macht Notizen in die Akte. Sie ist sehr
lieb und hört mir zu, fragt nach....
Ich streichle meine Mutter an den Schultern, übers Gesicht, halte ihr Hand und spreche mit ihr. Zum Schluß 
summe ich ihr ein Schlaflied vor. (Mama, du hast dies sicher alles gespürt. Ich wollte nicht anfangen zu weinen, 
aber die Tränen kamen. Das verstehst du sicher.)
Meine Schwester will erstmal nicht mehr kommen. Sie will das letzte Bild unserer Mama bewahren. 
Wie nennt sie es? Ihr Freitagsbild! ( Mama, du stehst du und winkst ihr hinterher!)
....Ich muss hier an der Stelle aufhören........brauche eine Pause....
Weißt du Mama, du fehlst uns allen! Kämpfe! Bitte bleib bei uns! Komm zurück!

Der Tag danach -Tag 1 20.September 2015

Bis um 3.00 in der Nacht habe ich überlegt, mich ins Auto zu setzen und ins Klinikum zu fahren.
Dann aber siegt doch die Vernunft und ich falle in einen tiefen Schlaf.
Als ich erwache, fällt mir sofort die letzte Nacht, der Anruf, der Krankenwagen, mein aufgelöster
 Vater, das Aneuyrisma....und schlussendlich meine Mutter ein. Es war kein Traum! Mein Gott,
es war kein Traum! Ich rappele mich auf...
Vormittags, gerade als meine Schwester und ich Garten bei einem Kaffee sitzen, kommt das Auto
meines Vaters den Weg entlang gefahren. Erstarrt sitzen wir da, rechnen mit einer schlimmen
Nachricht.....war doch abgesprochen, dass er uns erstmal anruft. Nein, keine neue Hiobsbotschaft,
er wollte einfach nur zu uns und nicht zu Hause sein. Den zuständigen Arzt auf der Intensivstation
hat mein Vater erreicht; wir sollen am späteren Nachmittag da sein, dann wären die Untersuchungen
abgeschlossen. Mit einem mulmigen Gefühl fahren wir  nach Schwerin, das Radio bleibt aus.
Meine Tochter Luise, gerade 18 Jahr alt geworden, ist auf eigenen Wunsch mit dabei.
Die Intensivstation nennt sich B2 und ist einfach zu finden. Immerhin müssen wir nicht endlose Gänge
 abschreiten. Vor der Tür ist ein Lautsprecher samt Klingel angebracht. Mein Vater und ich melden
uns zuerst an. Die Tür wird geöffnet, eine nette Schwester nimmt uns in Empfang. Wir müssen unsere
 Hände desinfizieren. Dann atme ich tief durch.
Das Krankenzimmer ist groß, das Fenster auch. In der Mitte des Raumes steht das Bett, umgeben von
vielen Apparaturen. Beim Anblick meiner Mutter muss ich sofort weinen. Es tut so weh, sie so daliegen
 zu sehen. Um den Kopf hat sie einen großen Verband. Schläuche in der Nase, Schläuche im Mund.
Ich gehe langsam zu ihr, schaue sie mir an.....ich lasse die Tränen laufen. Mein Vater ist stumm,
geht mit gesenkten Kopf hin und her, ab und zu räuspert er sich. Es ist für uns beide einfach zu
viel...der Anblick unsere geliebten Mama.
Ein recht junger Arzt kommt und klärt uns über die aktuell Situation auf:...großes Aneuyrisma,
kritischer Zustand, OP erstmal gut überstanden, hat nichts zu sagen, Komplikationen können
weiterhin kommen... Gehirndruck muss kontrollierbar bleiben....das ist am wichtigsten...
Während der Arzt berichtet, stehe ich bei ihr und halt ihr Hand, berühre sie an der Schulter....
das fühlt sich gut und natürlich an.
In meine Tasche habe ich einen kleinen Metallengel. Mama, den ich wollte ich Dir so gerne
umhängen! Ich nehme ihn wieder mit, weil ich nicht dazu kam zu fragen.
Nachdem der Arzt geht, bleiben wir noch kurz da, dann gehen wir in den Wartebereich. Meine Tochter
und meine Schwester sitzen auf dem Fußboden und erzählen sich irgendetwas lustiges.
Beide beschließen, unsere Mutter nicht zu besuchen. Wir fahren zurück. Ich weine im Auto, das Radio
ist wieder aus, ab und zu reden wir über das Erfahrene.
Abends fahre ich zu meinen Schwiegereltern und zu guten Freunden der Familie
 ( Mama, Erika und Hans-Jürgen denken ganz doll an Dich. Sie sind sehr betroffen. Erika hat geweint.
Wir haben uns lange umarmt. Hans-Jürgen meinte: "Meinen Vater haben sie auch wieder hinbekommen!"....
Ich habe sie gebeten, auch auf Papa zu achten und ein Auge auf ihn zu haben. Dafür sind Freunde doch
da, oder? Ach Mama.....Roswitha hat mich so lieb getröstet, so fest in den Arm genommen und so
warme Worte gefunden. Sie ist eine tolle Schwiegermutter.....Wir haben für dich gebetet, Mama!)

Weißt du Mama, wie groß meine Angst um Dich ist? So weit wie der Sternenhimmel! Bleib bei uns, bitte!

Für meine Mutter! In großer Liebe!

Nichts ist mehr, wie es war... 19.September 2015

Diese, meine Erlebnisse, sind meiner Mama gewidmet, einer starken, neugierigen, intelligenten,                                     kreativen, liebevollen Frau, die durch ein geplatzes Aneuyrisma aus ihrem reichen Leben gerissen 
wurde.

Als am Abend des 19.Septembers 2015 um 23.00 das Telefon klingelte, ahnte ich nicht,
 wieviel Schmerz, Angst und Trauer in unser aller Leben kommen würde und das nichts mehr so 
sein würde, wie davor....
Mein Vater atmet schwer am Telefon: " Suse, Mama ist im Bad zusammengebrochen und
bewusstlos....der Notarzt ist schon da...."  Mein Mann und ich springen sofort ins Auto,
ich fahre zu schnell, aber das ist mir egal....alles rattert in meinem Kopf, ich versuche ruhig
zu bleiben.
Wir biegen in die Strasse, der Krankenwagen steht bereits vor dem Haus. Meine Mutter befindet
sich bereits im Wagen und wird versorgt. Ich laufe ins Haus zu meinem Vater, der gerade völlig
 durcheinander ihre Krankenkarte sucht. Ich übernehme die Suche und finde sie, gebe sie dem
 Arzt.
"Nimmt ihre Mutter Blutdrucktabletten?"   Mein Vater und ich schauen uns an: "Keine Ahnung,
ich glaube nicht", sage ich. " Wir wissen wenig über solche Dinge, meine Mutter hält sich da
sehr bedeckt. Sie hat allerdings in den letzten Wochen sehr viel Stresss."
Er notiert unsere Telefonnummer, erklärt uns, dass sie nach Wismar fahren werden und wir
dort in 1-2 Stunden anrufen könnten. Eine Nachbarin kommt rüber und fragt, was los sei.
Wir gehen ins Haus und setzen uns an den Tisch. Ich klingele meine Schwester aus dem Bett,
die 20 min später vor der Tür steht. Ratlosigkeit....Mein Vater erzählt, dass unsere Mutter ins
Bad ging und er plötzlich ein Rummsen hörte, woraufhin er nach ihr schaute und sie am Boden
liegend fand.
War denn irgendetwas an dem Tag? Ging es ihr schlecht? ,frage ich. Alles normal,
sagt mein Vater.
Wir trinken einen Kräuterschnaps....und rauchen unpassender Weise auf der Terasse.
Wir spekulieren, was wohl die Ursache ist. "Sie ist gestolpert und mit dem Kopf gegen die
Heizung gefallen....ja, das wird es sein.Und nun hat sie eine Gehirnerschütterung." Wir wollen alle die
Gehirnerschütterung! Das klingt erträglich.
Nach 90 min ruft das Krankenhaus Wismar an. Ein geplatztes Aneuyrisma wäre die Ursache für
die Bewusstlosigkeit. Sie würde sofort nach Schwerin ins Klinikum gebracht werden. Dort, darauf
 sollten wir uns einstellen, würde sie intubiert werden und in ein künstliches Koma versetzt werden.
Der Schock sitzt tief....ein geplatzes Aneuyrisma.....
Der Rest des Abends ist verschwommen. Ich glaube, mein Vater ging ins Bett. Meine Schwester zu sich
 oder zu uns....ich weiß es nicht mehr genau, ob wohl es gerade mal 3 Tage her ist. ....

Mama, weißt du noch? Vor 6 Jahren hast du mit den Kindern diese Krippenszene nachgeknetet. Jetzt nehmen wir dich in unsere Mitte. Sei stark!